Ein Artikel von Werner Evers, freier Journalist
Hydrotechnik Lübeck reduziert den Hydroschall und schützt die Natur mit dem ‘Big Bubble Curtain’
Schwimmende Arbeitsplattformen mit gigantischen Krananlagen werden auf die Nordee geschleppt, Arbeitsschiffe und Hubschrauber pendeln hin und her. Eemshaven ist zum riesigen Materiallager und Stützpunkt für etwas ganz Großes auf der Nordsee geworden. Der Industriehafen liegt strategisch günstig auf der holländischen Seite der Emsmündung.
Die Bundesregierung will den Ausstieg aus der Atomenergie. Bis 2030 sollen sich 5.000 Windkrafträder in Nord- und Ostsee drehen. 60 Kernkraftwerke würden nicht mehr nötig sein, wenn diese Windkraftanlagen 25.000 Megawatt Strom erzeugen. Ein einzigartiger Auftrag für die deutsche Energiewirtschaft und eine ehrgeizige Herausforderung für die Industrie.
Jedes Windrad so groß wie der Kölner Dom
Auf der Nordsee bläst der Wind stark und stetig. Sie ist für die Aufgabe “Strom durch Wind” bestens geeignet. Riesige Gebiete sind mitten in der Nordsee für diese Großbaustellen bereits ausgewiesen. Weit genug vom Land entfernt, um den Blick auf das Wasser nicht zu stören. Doch das Meer ist ein empfindliches Ökosystem mit vielen wichtigen und schützenswerten Lebewesen. Wenn also Windräder mit gigantischen Ausmaßen dort errichtet werden, darf die Natur darunter nicht leiden. Jedes Windrad ist so groß wie der Kölner Dom.
Wissenschaftler und Naturverbände haben frühzeitig vor allem auf die extreme Schallemmision im Wasser hingewiesen. Schweinswale würden bei diesem Ausmaß an Unterwasserlärm auf Dauer sterben. Für das Fundament nur einer Windkraftanlage werden bis zu 4 Rammpfähle in den Meeresboden gerammt. Jeder Pfahl ist 55 Meter lang und wiegt etwa 200 Tonnen. Sie werden durch Schlamm und fast betonharten Sand mit einem Rammhammer 40 Meter tief in den Grund geschlagen. Dafür sind etwa 3.000 Rammschläge nötig – für jeden Pfeiler. Unterwasserschallschutz ist dringend erforderlich.
Die Ingenieure der Firma HYDROTECHNIK aus Lübeck haben sich dieser Aufgabe gestellt. Nach 2 Jahren Forschung und Entwicklung steht nun ein System für den Einsatz bereit. Der “Große Blasenschleier HY75″. Die Idee war zunächst so simpel wie einfach. Luftblasen verändern die Dichte des Wassers, der Schall wird gebrochen und nicht weiter transportiert. Die Anforderungen an diese neue Technik waren allerdings hoch. Entscheidende Richtwerte mussten erreicht werden und die rasante Baugeschwindigkeit durfte nicht gestört werden. 5 Millionen Euro wurden eingesetzt, um zu einem praktikablen Ergebnis zu kommen. Die Mittel kamen im Wesentlichen vom Bundesministerium für Umwelt. Mit Fachunterstützung der Universität Hannover und der Kompetenz der Firmen BioConsult und ITAP ist es nun geschafft. Das System “BIG BUBBLE CURTAIN HY75″ ist einsatzbereit.
Wie es funktioniert ist einfach erklärt. Ein Spezialschiff, die NOORTRUCK, ist mit 3 großen Schlauchwinden und einem Cluster von mächtigen Kompressoren ausgerüstet. Bevor die Rammplattform ihre Position einnimmt hat die NOORTRUCK bereits einen Schlauchring in der Nordsee versenkt. Exakt kreisrund um die Baustelle herum, mit einem Durchmesser von etwa 160 Metern. Die Schlauchenden werden an der Wasseroberfläche durch Bojen fixiert. Nun kann die Plattform heran geschleppt werden, denn die NOORTRUCK versenkt bereits einen weiteren Schlauch an der nächsten Position. Der Vorteil: die Plattform kann ungestört ihre Vorbereitungen für die Rammarbeiten durchführen. Kurz bevor der Rammhammer beginnt dockt die NOORTRUCK an die Schlauchenden an. Die Kompressoren werden hochgefahren und ein Schallschutzbauzaun aus Luftblasen entsteht um die Baustelle herum. Stecken alle Pfähle tief im Meeresgrund beginnt der Rückbau für die Plattform. Diese Zeit nutzt die NOORTRUCK, um bereits den nächsten Schlauch an einer weiteren Position zu versenken. Während die Plattform ihre neue Position einnimmt wird der erste Schlauch vom Meeresgrund geborgen, usw.
Cay Grunau, Dipl. Ingenieur und Geschäftsführer der HYDROTECHNIK LÜBECK GMBH
“Der im Projekt Borkum West II eingesetzte Blasenschleier hat die in ihn gesetzten Erwartungen mehr als erfüllt. Das Ausbringen, der Betrieb und die Bergung funktionieren reibungslos. Selbstverständlich haben wir mit einer Minderung des Schalls gerechnet. Die ersten Messwerte aber liegen bei 152 bis 158 dB, was eine Minderung des Schallpegels von bis zu 15 dB entspricht. Das hat uns alle überrascht. Wir unterschreiten damit sogar den von den Behörden gesetzten Grenzwert. Jetzt arbeiten wir daran selbst diesen Wert noch zu optimieren. Es sollte möglich sein, durch eine Änderung der Auslegung und der Verlegung der Schläuche die Minderung um den Faktor 2 zu verbessern.”
Know How, Kompetenz und ganz spezielles Fachwissen sind bei der HYDROTECHNIK Lübeck seit 30 Jahren gewachsen. Die Offenheit, in einem Kompetenz-Netzwerk zu arbeiten gibt Möglichkeiten, sich weiter zu entwickeln. Für die Mannschaft von Cay Grunau ist Teamarbeit oberste Priorität, wenn es um den Schutz der Meere geht. So können sie an etwas ganz Großem mitwirken.
Herr Grunau, woher kam der erste Impuls zur Entwicklung des ‘Großen Blasenschleiers’?
HYDROTECHNIK LÜBECK beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit der Anwendung von Druckluft im Wasserbau. Wir haben in vielen Tankerhäfen der Welt so genannte Druckluft-Ölsperren zum Schutz vor einer Ölverschmutzung installiert. Im Fall der Anwendung wird meist die Hafeneinfahrt binnen von Minuten eben durch diesen Blasenschleier blockiert. Das Öl wird durch die Strömung der aufsteigende Blasen zurückgehalten. Die bisher größten Anlagen wurden von uns in Italien, Kroatien und den Vereinigten Emiraten gebaut. Bei diesen Anlagen kamen wir auf Schlauchlängen von 1000 bis 1500m. Sie wurden in Wassertiefen von 60m verlegt.
Die Initialzündung für die Entwicklung des Blasenschleiers für den Offshore-Unterwasser-Schallschutz kam durch das Projekt FINO 3. Im Rahmen dieses Projektes musste innerhalb von 6 Wochen ein Schallschutz für Rammarbeiten eines Monopiles in ca. 24m Wassertiefe entworfen, gebaut und betrieben werden. Für diese Aufgabe kamen nur wir als Spezialfirma in Frage. Wir hatten zuvor bereits sehr gute Erfahrung im Lärmschutz bei der Sprengung von Munition in der Ostsee gesammelt. Auf Grund einer weltweiten Umweltschutzkampagne des NABU Schleswig-Holstein ist das Bewusstsein für den Unterwasserschallschutz bei diesen Arbeiten entstanden. Wir bekamen die Chance, diese Technologie zu entwickeln. Wie an jedes andere Projekt sind wir auch an FINO 3 voller Zuversicht herangegangen. Haben erneut Materialien getestet und dann durch Versuche letztendlich das heutige funktionierende System entwickelt.
In der Presse gibt es offensichtlich Unsicherheit über die Beeinträchtigung der Ergebnisse durch Unterwasserströmung. Der ‘Große Blasenschleier’ soll davon betroffen sein. Bei Wikipedia ist zu lesen es sei der ‘Kleine Blasenschleier’. Wie ist da Ihre Erfahrung?
Für die Wirksamkeit des Blasenschleiers sind die vorherrschenden Wasserströmungen der wichtigste zu beachtende Faktor. Die in der Nordsee vorkommenden durchschnittlichen Strömungsgeschwindigkeiten stellen bei richtiger Auslegung des Blasenschleier keine Beeinträchtigung seiner Wirkung dar.
Sie arbeiten für diese Aufgabe mit einem Spezial-Schiff, der ‘NOORTRUCK’. Was kann dieses Schiff und wie ist es ausgerüstet?
Eine Voraussetzung für die Umrüstung dieses Schiffes war die Größe. Die NOORTRUCK ist groß genug, um die Ausrüstung für 3 Blasenschleier zu transportieren. Darüber hinaus verfügt das Schiff über ausreichend Platz für die benötigten Kompressoren. Als zweite Eigenschaft, die nicht weniger wichtig ist, muss die Wendigkeit des Schiffes hervorgehoben werden. Für die Verlegung der Schlauchringe ist das sehr wichtig. Und letztlich ist die NOORTRUCK ein Schiff, auf dem sich die Besatzung wohl fühlen kann.
Warum ist das System ‘HY75′ jetzt für den Dauereinsatz gerüstet?
Im Rahmen der Erprobung und des täglichen Einsatzes im Baugebiet Borkum West II konnten wir die letzten “Kinderkrankheiten” beseitigen. Jedes neue System ist in der Regel so weit entwickelt, dass es funktioniert. Es bedarf jedoch des täglichen Einsatzes, um “quietschende” Stellen zu erkennen und zu beheben. Meist waren es kleine Veränderungen, die die Handhabung im täglichen Einsatz erleichtern.
Herr Grunau, das Meer und die Schifffahrt scheinen zu Ihren Leidenschaften zu gehören. Trotzdem sind Sie Bauingenieur geworden, warum? Und wie kam der Naturschutz dazu?
Ich bin aus Überzeugung Bauingenieur im Fachbereich Wasserbau. Dies stand für mich fest, seit ich im Alter von 12 Jahren meinen Vater auf eine Baustelle im Sauerland an der Ennepetalsperre begleiten durfte. Die Natur ist einfach zu schön und wichtig für uns. Also muss man sie dort, wo sie in Gefahr ist, schützen. Gibt es etwas Schöneres, als auf und unter Wasser tätig zu sein und gleichzeitig einen Teil der Tierwelt zu schützen? Das Lächeln meiner Frau und Kinder ausgenommen.
Es sollen bis zu 5.000 Windkraftanlagen in Nord- und Ostsee gebaut werden. Gibt es weitere Firmen, die über Ihr Know How verfügen?
Im Moment noch nicht aber sie werden bei dem zu erwartenden Marktpotential zweifellos entstehen.